Zuhören. Voneinander lernen, hier während eines Workshops in Hamburg. Jeder „Demokratiedschungel“ als Projekt funktioniert nach Kleingruppenprinzipien. Foto: Michał Zak

Fremde sind Freundinnen und Freunde, die Du nur noch nicht kennst. Vor allem Zuhören ist die wohl wichtigste Technologie.

„Wer möchte mehr dazu hören, was mich prägte und wieso diese Seite ‚Demokratiedschungel‘ heißt? Lernen wir uns doch kennen!“

Als Beauftragter der Stadt Münster gegen Antisemitismus zu Gast beim Israel-Tag 2022 im Erbdrostenhof bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Münster anlässlich des Vortrages von Dr. Michael Borchard, Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), Autor des Buches über David Ben Gurion und Konrad Adenauer mit dem Titel „Eine unmögliche Freundschaft“ (Herder). Im Programm wurde an den verstorbenen DIG-Vorsitzenden Karl-Heinz Volkert erinnert, mit dem Stefan Querl eine langjährige Freundschaft und Kooperation über das Franz Hitze Haus verband. Foto: Sharon Fehr
Recherchen an früheren Leidensorten von Dachauer KZ-Häftlingen. Foto: Guido Hassel

Ein Wechselbad der Gefühle sei hier sehr subjektiv geschildert: Es existieren einige besondere politische Prägepunkte in der Phase meines Heranwachsens, die zeitlich recht nahe beieinander lagen, aber völlig gegensätzlich waren: Auf der eine Seite Freude, Glück und Enthusiasmus über das Ende des Kalten Krieges und über die erfolgreiche „Friedliche Revolution“ in der DDR 1989 mit dem Prozess der deutschen und auch gesamteuropäischen Einigung. Die großen Tageszeitungen vom Tage nach dem Mauerfall erwarb ich als Schüler morgens am Kiosk und habe sie immer aufbewahrt, weil selbst für mich als Teenager schon zu spüren war, dass wir an einem historischen Wendepunkt standen in den zwei Teilstaaten seiner Zeit.

Andererseits aber dann 1991 das Entsetzen, dass genau an dem Tage, als erstmals der 3. Oktober als Nationalfeiertag der deutschen Einheit gewidmet worden war, im niederrheinischen Nachbarort direkt neben Dinslaken, der Stadt meiner Kindheit und Jugend, eine Asylbewerber-Unterkunft in Flammen aufging. Der Anschlag von Hünxe mit schwer brandverletzten Kindern war Teil einer Serie rechtsextremer, hasserfüllter Gewalt, die bis in die jüngste Gegenwart hinein andauert. Lässt sie sich stoppen oder wenigstens eindämmen?

Ein Atmobild mit Dank auch an den Schauspieler und Historiker Andreas Breiing, hier für die „Tischgespräche“ in der Rolle des Vielredners Adolf Hitler. Foto: Gloria Benning

Mir ist es wichtig, sich für eine offene Gesellschaft einzusetzen und dem Rechtsextremismus die Stirn zu bieten. Mit Kopf, Herz und meiner Hände Arbeit. Für Akzeptanz statt nur Toleranz. Damals als Schülersprecher organisierten wir improvisiert Hausaufgabenhilfen für Flüchtlingskinder im Kreis Wesel, weil wir nicht bloß bei Wut und Empörung, Schockstarre, die uns zu den Mahnwachen getrieben hatten, verbleiben wollten. „Sei selbst die Veränderung, die Du Dir wünschst für diese Welt.“ Bis heute unterschreibe ich Ghandis kluge Einsicht gerne und glaube, dass kleine Schritte oft Großes bewirken.

‚Da kann man nichts machen‘ dagegen „ist ein gottloser Satz“. So äußerte sich die Theologin Dorothee Sölle, die ich im Juni 1989, also im Sommer vor dem Fall der Mauer, auf dem Kirchentag in West-Berlin erstmals gehört hatte live – wie auch den Poeten Hanns Dieter Hüsch, das kluge „Schwarze Schaf“ vom linken Niederrhein in der Liturgischen Waldbühnen-Nacht, die mir legendär im Gedächtnis geblieben ist. „Das Phänomen“ löst bei mir seither Gänsehaut aus.

Meine Konfirmation fand einen Monat zuvor am 7. Mai 1989 statt. Der Sonntag, an dem die DDR dreist Wahlen so arg fälschte, dass sich Protest regte und Zorn aufkam, auch bei Anpassungswilligen oder ‚Mausgrauen‘, die sonst kaum einen Mucks wagten zu sagen. „Hör nie auf zu fragen“ oder etwas zu sagen, wenn Macht gegen Menschen selbstherrlich oder rücksichtslos eingesetzt wird. Das sollte uns historisch Lehre sein, finde ich. Uns Deutschen allemal.

„Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung“ standen als die Themen in West, Ost und Ökumene über dem damaligen Konziliaren Prozess, der mich als 14-Jähriger in seinen Fragestellungen ziemlich faszinierte, ohne dass ich ihn komplett verstand. Das Poster mit der Friedenstaube hing riesig groß in meinem Zimmer seit 7. Mai 1989.

Chillout-Lounge bei Abendatmosphäre am Kai des Hafens Münster. Foto: Margit Schild
Vor dem jüdischen Friedhof im sauerländischen Schmallenberg. Foto: Marianne Strodthoff

Knapp einen Monat später sah die Welt zu, wie das Pekinger Regime Studierende umbringen und ihr Freiheitsstreben im Keime ersticken ließ. Das Massaker auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ schürte in der freien Welt sofort Angst vor einer gnadenlosen „Chinesischen Lösung“ auch gegen die Bürgerrechtler und Demonstrierenden seit dem Leipziger Kirchentag im Sommer 1989. Pfingsten zuvor war ich erstmals in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz gewesen, im polnischen Oświęcim. Stolz bin ich darauf, kritische Bürgerinnen und Bürger der DDR und auch der „Volksrepublik“ Polen vor 1989 kennen gelernt, besucht, gesprochen zu haben – und sie heute immer noch zu verstehen auf Augenhöhe. Im Falle des Polnischen allerdings leider nur mit Übersetzungshilfe; meine Kenntnisse der slawischen Sprache sind rudimentär. Die Tatsache jedenfalls, dass ein Blutvergießen im Herbst 1989 in Plauen, Leipzig, Schwerin, Erfurt, Ost-Berlin und anderenorts in der DDR ausblieb, halte ich für eine der wunderbaren Wendungen in der deutschen Geschichte des XX. Jahrhunderts. Die sonst ja wahrlich durchdrungen von komplett anderen, nämlich den leidvollen, grausigen Erfahrungen der Shoah und den Folgen von zwei Weltkriegen ist. Und eine der zentralen Konsequenzen aus all‘ diesen Leidenserfahrungen ist meines Erachtens, wie gefährlich völkische, demokratiefremde, menschenverachtende, braune Kräfte die Freiheit, Vielstimmigkeit und Pluralität in Gesellschaft, Politik und Verwaltung, Parlamenten, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen, Nachbarschaften, auf Sportplätzen, in Schulen, Hochschulen, Labs, Lounges und in Fabriken oder an der Theke in den Wirtshäusern zu schwächen versuchen. Belege sehen Historikerinnen und Historiker dafür mehr als genug. Beweisen wir, dass das Gegenteil von „rechts“ nicht bloß „links“, dass das Gegenteil von „extrem“ auch möglich ist: Eine Gesellschaft der Zuhörenden, Kompromissfähigen, Mutigen und Hilfs- und Schaffensbereiten. „Wie herrlich ist es, dass niemand eine Minute zu warten braucht, um damit zu beginnen, die Welt langsam zu verändern“, schrieb Anne Frank in ihr Tagebuch. „Wie herrlich ist es, dass jeder, klein oder groß, direkt seinen Teil dazu beitragen kann, um Gerechtigkeit zu bringen und zu geben.“ Für Frieden gilt’s auch. Gerade angesichts der brennenden Sorge wegen der Ukraine-Lage.

Voller Saal bei der Podiumsdebatte über Erfahrungen unterschiedlicher Generationen in den Zeitläuften anlässlich der „Dialoge zum Frieden“ im Stadtweinhaus Münster. V.l. Prof. Dr. Jürgen Reulecke, Prof. Dr. Insa Fooken, Ludwig Poullain, Moderator Sven Felix Kellerhoff, Autorin Katja Lange-Müller und Stefan Querl. Foto: Münsterview/Tronquet.

„Gegen Vergessen – Für Demokratie“, die vier Worte symbolisieren heute aus meiner Sicht programmatisch den Einsatz gegen jeden Extremismus von Rechts. Doch gerne Details dazu in Diskussionen oder bei einer persönlichen Begegnung oder bei einem Austausch per Mail oder Telefon. Zuhören, echtes Bemühen um Verstehen halte ich persönlich für eine der wertvollsten und zugleich schwierigsten Errungenschaften menschlichen Zusammenlebens. Wer nur redet, erfährt nämlich nichts wirklich. Und Überreden bringt wenig. Nur ein nachhaltiges Überzeugen oder das Konsens-Finden sind ertragreich.

Liebend gerne lesend: Je mehr unterschiedliche Zeitungen, desto lieber und besser, denn man sieht und erfährt doch ausschließlich das, was man weiß. Foto: Dirk Jonas

Lassen wir uns darauf ein, Ideen, Lösungen, Mehrheiten und unseren Konsens zu suchen? Gerne zum Beispiel im „Demokratiedschungel“, einer pädagogischen Eigenkreation des studentischen Teams am Geschichtsort Villa ten Hompel, die mir ebenso ein „Baby“ wie auch eine Herzenssache ist. Mehr zum „Demokratiedschungel“ für Gäste auf dem virtuellen Portal der Villa ten Hompel oder bei einem Besuch am Kaiser-Wilhelm-Ring in Münster. Gerne steht Ihnen, Euch u. Dir der Geschichtsort dort offen. Und mein Ohr ist es für Sie und Dich auch nach Kräften. Oder wir schreiben uns Briefe oder Karten. Das ist meine Passion. Also: „Schreib mal wieder!“. In meine Jugendzeit fällt diese Kampagne der alten staatlichen Bundespost – und freilich die Einführung der neuen Postleitzahlen nach der Wiedervereinigung. Ohne Postleitzahl und Marken geht’s auch: Die Villa ten Hompel hat schließlich sogar zwei Briefkästen: Einen vorne und an der Seitentüre.

„Fremde sind Freundinnen und Freunde, die Du nur noch nicht kennst.“ Der Satz ist mir Lebensmotto. Lernen wir uns kennen!

Hej, guten Tag: Schweden am Ort nahe des Exils des späteren Kanzlers Willy Brandt. Foto: Michał Muskala
Bei der Documenta in Kassel. Kunst und Sprechtheatersparten interessieren mich. Foto: Lisa Rodenhäuser
…idealerweise freilich mit Kulturnasen und feinem Logenplatz. Foto: Piotr Kwiatkowski.